Geschlechtergerechtigkeit ist viel mehr als nur ein Sternchen – weiß das auch NÖ?
von Michaela Summer
Schwarz-blaue Regierung in Niederösterreich: Das bedeutet neben Corona-Fonds und politische Eingriffe in die Speisekarten der Wirtshäuser auch eine spannende Neu-Interpretation der deutschen Sprache. So gibt man im Arbeitsübereinkommen an, bewusst auf „Gender-Stern“ oder ähnliche Kennzeichnungen zu verzichten. Manche Medien haben dies bereits zum Thema gemacht. Was aber völlig untergeht, ist die Tatsache, dass das Arbeitsübereinkommen eben nicht nur auf das Sternchen verzichtet, sondern auch auf die Nennung weiblicher Personen – und damit bewusst DAS Regelwerk der deutschen Sprache ignoriert: den Duden.
Geschlechtergerechtigkeit: Eine Frage der Integration?
Im Kapitel „Integration“ des Arbeitsübereinkommens von Volkspartei und Freiheitlicher Partei Niederösterreich1 https://www.noe.gv.at/noe/Arbeitsuebereinkommen_Stand_19_03.pdf findet sich hinter Ideen gegen Zuwanderung und Asylquartieren auch ein Abschnitt zur Geschlechtergerechtigkeit. Manche könnten nun zuallererst den Zusammenhang an sich in Frage stellen, denn was hat Geschlechtergerechtigkeit mit Integration zu tun? Schließlich sind wir uns doch hoffentlich alle einig, dass nicht das Geschlecht darüber entscheidet, ob wir nun niederösterreichische Landsleute sind oder nicht! Wer genau soll nun wo integriert werden?
Der Rat für deutsche Rechtschreibung als Gender-Gegner?
Nun steht in diesem Arbeitsübereinkommen im Kapitel der Integration im letzten Absatz: „Mit diesem Arbeitsübereinkommen, das sich angesichts wiederkehrender Diskussionen über geschlechtergerechte Sprache übrigens bewusst am Rat für deutsche Rechtschreibung orientiert und damit auch ‚Gender-Stern‘, ‚Gender-Gap‘, ‚Doppelpunkt‘ und andere verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnung im Wortinneren verzichtet, ist das erste Ergebnis
gemeinsamer Arbeit im Geiste von Vernunft und Verantwortung.“2 https://www.noe.gv.at/noe/Arbeitsuebereinkommen_Stand_19_03.pdf In Zusammenhang mit der Tatsache, dass im gesamten Arbeitsübereinkommen auch explizit auf weibliche Endungen verzichtet wurde, könnte nun ein völlig falscher Eindruck entstehen, nämlich dass der Rat für deutsche Rechtschreibung gegen geschlechtergerechte Sprache auftritt – und Niederösterreich mit dieser Vorgangsweise nur einem Regelwerk folgen würde. Das ist schlichtweg falsch. Geschlechtergerechte Sprache ist nämlich viel mehr nur ein Sternchen.
Man orientiert sich also am Rat für deutsche Rechtschreibung. Tatsächlich hat dieser nach langen Diskussionen vor zwei Jahren (März 2021) empfohlen, ebendiese Kennzeichnungen (das Sternchen, den Unterstrich oder den Doppelpunkt) nicht in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen.3 https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2021-03-26_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf Was er aber nicht gesagt hat, ist, dass wir weibliche Bezeichnungen ganz weglassen sollen. Im Gegenteil! Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat allein diese Presseaussendung, auf welche sich die Aussage bezieht, von vorne bis hinten durchgegendert. Da ist von „Schülerinnen und Schülern“ die Rede sowie von „Studierenden“ und „Lehrenden“. Im allerersten Satz dieser Aussendung – also noch vor der Empfehlung auf den Stern zu verzichten – heißt es ganz klar: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigt (…) seine Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen.“4 https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_PM_2021-03-26_Geschlechtergerechte_Schreibung.pdf
Duden: Lehrer ist männlich
Das Arbeitsübereinkommen von VPNÖ und FPNÖ mit dem tragenden Titel „Niederösterreich weiterbringen“ hingegen verzichtet nahezu gänzlich auf geschlechtergerechte Sprache. Einzig die „Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher“ werden doppelt genannt. Aber „Lehrer“, „Schüler“, „Mitarbeiter“, „Zuwanderer“ oder „Unternehmer“ sind hier nur männlich gehalten. Das wiederum verstößt allerdings ganz klar gegen ein ganz besonderes Regelwerk der deutschen Sprache: den Duden. In diesem wird das Wort „Lehrer“ nämlich ganz klar definiert als „männliche Person, die an einer Schule unterrichtet“, mit dem weiblichen Pendent „Lehrerin“. Das gilt für alle 12.000 Berufsbezeichnungen im Online-Duden. Auch der „Schüler“ ist ganz klar im Duden als „männlich“ definiert und hat ein weibliches Pendant.
In so einem Arbeitsübereinkommen bewusst auf „Gender-Stern“ und ähnliche Verkürzungen zu verzichten, ist also die eine Sache. Eine ganz andere Sache ist es aber, den weggelassenen Gender-Stern zum Thema zu machen und daneben zu verschweigen, dass man insgesamt explizit nur männliche Personen anspricht. Auf diese Weise schiebt man die eigene Ideologie dem Rat für deutsche Rechtschreibung in die Schuhe, indem man suggeriert, es handle sich um eine offizielle Vorgabe. Und ignoriert dabei ganz explizit die tatsächliche offizielle Regelung zur deutschen Schreibweise, die auch im Duden zu finden ist. Hoffentlich werden alle niederösterreichischen Landsleute – ob geschlechterspezifisch integriert oder nicht – verstehen, wie genau dieser Stil „Niederösterreich weiterbringen“ wird.
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Zum Nachlesen:
Das Arbeitsübereinkommen „Niederösterreich weiterbringen“ von Volkspartei Niederösterreich und FPÖ Niederösterreich
Rat für deutsche Rechtschreibung: Pressemitteilung „Geschlechtergerechte Schreibung: Empfehlungen vom 26.03.2021“
Duden: Geschlechtergerechter Sprachgebrauch: Doppelnennung und Schrägstrich